Das Bundessozialgericht hat in einem von Rechtsanwalt Genge geführten Klageverfahren entschieden, dass in Deutschland lebende Ausländer trotz der Ausschlussregelung in § 7 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 SGB II grundsätzlich Anspruch auf Arbeitslosengeld II haben, wenn sie sich auf das Europäische Fürsorgeabkommen vom 11.12.1953 (EFA) berufen können. Das Gericht hat damit den Streit über die Anwendbarkeit des Europäische Fürsorgeabkommens auf das SGB II geklärt.
Nach Art 1 des EFA, das die Bundesrepublik Deutschland unterzeichnet hat, ist jeder der Vertragschließenden verpflichtet, den Staatsangehörigen der anderen Vertragsstaaten, die sich in irgendeinem Teil seines Gebietes, auf das dieses Abkommen Anwendung findet, erlaubt aufhalten und nicht über ausreichende Mittel verfügen, in gleicher Weise wie seinen eigenen Staatsangehörigen und unter den gleichen Bedingungen die Leistungen der sozialen und der Gesundheitsfürsorge zu gewähren, die in der in diesem Teil seines Gebietes geltenden Gesetzgebung vorgesehen sind.
Folgende Staaten sind Mitgliedstaaten des EFA: Belgien, Dänemark, Deutschland, Estland, Frankreich, Griechenland, Irland, Island, Italien, Luxemburg, Malta, Niederlande, Norwegen, Portugal, Schweden, Spanien, Türkei, Großbritannien.
Kläger war hier ein französischer Mandant, dessen Antrag auf Weiterbewilligung von Hartz IV – Leistungen abgelehnt worden war, weil sich sein Aufenthaltsrecht alleine aus dem Zweck der Arbeitsuche ergebe. Das BSG hat in seinem Urteil vom 19.10.2010 – Az. B 14 AS 23/10 R – die Revision des Jobcenters zurückgewiesen und damit eine in der Rechtsprechung umstrittene Frage im Sinne der Hilfebedürftigen geklärt.
Weiterhin offen bleibt trotz dieses Urteils die sehr umstrittene Frage der Vereinbarkeit der Ausschlussregelung des § 7 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 SGB II mit europäischem Recht, siehe dazu auch die EuGH-Rechtsprechung aus dem Jahr 2009.
Die Entscheidung dürfte auch Auswirkungen auf die Prüfung von Ansprüchen auf Sozialhilfe nach dem SGB XII haben, da der Begriff der Fürsorge nach dem EFA auch die Grundsicherungsleistungen nach dem SGB XII einschließt.
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Im Programm des Bayerischen Rundfunks (BR5) lief am 12.12.2010 eine hörenswerte Reportage über die Hintergründe des Urteils und die politische Reaktion darauf. Hier ist der Link zum Podcast von der Seite www.br-online.de.
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Nachtrag 2012:
Die Bundesregierung hat im Dezember 2011 einen Vorbehalt gegen das Europäische Fürsorgeabkommen (EFA) geltend gemacht. Damit soll das Urteil des Bundessozialgerichts vom Oktober 2010 ausgehebelt werden, siehe dieser Beitrag. Die Rechtmäßigkeit des Vorbehalts ist umstritten, gegen Ablehnungen mit dieser Begründung sollte mit Widerspruch und Eilantrag beim Sozialgericht vorgegangen werden.