Deutscher Vorbehalt gegen das Europäische Fürsorgeabkommen
Die Bundesregierung hat im Dezember 2011 einen Vorbehalt gegen das Europäische Fürsorgeabkommen (EFA) geltend gemacht. Damit soll die Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) vom Oktober 2010 ausgehebelt werden, wonach auch arbeitsuchende Staatsangehörige der Mitgliedsstaaten des Abkommens von 1953, überwiegend westeuropäische Staaten, siehe diesen älteren Beitrag , bei Hilfebedürftigkeit Zugang zu Hartz IV Leistungen haben. Dieser Vorbehalt ist nach der Bundesarbeitsministerin ausdrücklich gegen EU-Bürger aus Griechenland und Spanien gerichtet, siehe diesen Artikel auf spiegel.de .
Der Vorbehalt dürfte vor Gericht keinen Bestand haben und ohnehin seine gewollte Wirkung verfehlen.
Der Vorbehalt Deutschlands dürfte gegen Art. 1 EFA verstoßen, weil er die Fürsorgeleistung für Erwerbsfähige abschafft. Das SGB II ist – als Grundsicherung für Erwerbsfähige – zusammen mit dem SGB XII das Nachfolgegesetz des Bundessozialhilfegesetzes (BSHG), für das das EFA ausdrücklich galt. Der Vorbehalt dürfte daher völkerrechtswidrig sein.
Unabhängig vom EFA haben Arbeitssuchende aus der EU aber ohnehin grundsätzlich Anspruch auf SGB II – Leistungen, da die Ausschlussklausel des § 7 Abs. 1 Satz 2 SGB II auf nur arbeitsuchende Unionsbürger nach mittlerweile überwiegender Ansicht in Rechtsprechung und Literatur nicht anwendbar ist, weil sie gegen EU-Verfassungsrecht verstößt.
Ferner leitet sich seit dem 01.05.2010 aus der VO EG 883/2004 ein Anspruch auf das Arbeitslosengeld II für alle Unionsbürger nach den gleichen Maßstäben wie für Deutsche ab.
Momentan stellen die Jobcenter die Leistungen für bisher nicht erwerbstätige, nur arbeitsuchende Unionsbürger, die EFA-Staaten angehören, ein und lehnen neue Anträge ab. Siehe dazu die Geschäftsanweisung (GA) der Arbeitsagentur vom 23.02.2012. Von fehlerhaften Bescheiden sind derzeit auch andere EU-Bürger betroffen, die etwa aus familiären oder anderen Gründen in Deutschland sind.
Von Kürzungen, Ablehnungen und Leistungseinstellungen Betroffenen ist dringend zu empfehlen, gegen negative Entscheidungen der Jobcenter Widerspruch einzulegen und in Eilfällen Eilanträge bei den Sozialgerichten zu stellen.
Parallel oder alternativ dazu können Anträge bei den Sozialämtern auf Hilfe zum Lebensunterhalt nach dem SGB XII gestellt werden. Auf diese Möglichkeit weist die Berliner Senatsverwaltung für Gesundheit und Soziales hin. In der Praxis zeigt sich aber, dass die Sozialämter der Bezirke die Anträge ablehnen. Auch hier sollte vorsorglich Widerspruch erhoben und Eilanträge beim Sozialgericht gestellt werden.
Nachtrag:
Nach einem Artikel in der TAZ vom 28.03.2012 lässt ein nicht-öffentliches Gutachten des wissenschaftlichen Dienstes des Bundestag Zweifel an der Rechtmäßigkeit des Vorbehalts erkennen.