Homepage

Keine Ausweisung ohne Befristung

Das Bundesverwaltungsgericht hatte im Jahre 2009 dem Europäischen Gerichtshof (EuGH) in Luxemburg die Frage vorgelegt, ob der in Art. 28 Abs. 3 der Richtlinie 2004/38/EG des Rates der Europäischen Union (Unionsbürgerrichtlinie) geregelte Ausweisungsschutz von Unionsbürgern auf assoziationsberechtigte und damit privilegierte türkische Staatsangehörige zu übertragen ist.

Der EuGH hat die Frage in einem Parallelverfahren verneint und entschieden, dass Art. 14 ARB 1/80 einer Ausweisung nicht entgegensteht, sofern das persönliche Verhalten des Betroffenen gegenwärtig eine tatsächliche und hinreichend schwere Gefahr für ein Grundinteresse der Gesellschaft des Aufnahmemitgliedstaats darstellt und die Maßnahme für die Wahrung dieses Interesses unerlässlich ist (Urteil vom 8. Dezember 2011 – Rs. C-371/08 – Ziebell).

Im Anschluss an diese Entscheidung hat der 1. Senat des Bundesverwaltungsgerichts nun festgestellt, dass die Ausweisung des Klägers in dem Vorlageverfahren diesen Maßstäben entspricht und deshalb die Revision insoweit zurückgewiesen. Zugleich hat das Gericht aber die Ausländerbehörde  verpflichtet, die Wirkungen der Ausweisung zu befristen. Denn während des Revisionsverfahrens ist das Richtlinienumsetzungsgesetz 2011 in Kraft getreten, das u.a. der Umsetzung der unionsrechtlichen Richtlinie 2008/115/EG (Rückführungsrichtlinie) dient. Nach § 11 des Aufenthaltsgesetzes (AufenthG) in der Fassung des Richtlinienumsetzungsgesetzes haben Ausländer einen Anspruch darauf, dass mit einer Ausweisung zugleich deren Wirkungen befristet werden. Dies entnimmt der Senat insbesondere der Rückführungsrichtlinie sowie den Grundrechten einschließlich des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes und der Europäischen Menschenrechtskonvention. Hat die Ausländerbehörde – wie hier unter der früheren Rechtslage – keine Befristung verfügt und erweist sich die Ausweisung ansonsten als rechtmäßig, ist über den Befristungsanspruch im gerichtlichen Verfahren gegen die Ausweisung mit zu entscheiden; der Behörde steht bei der Bemessung der Fristlänge kein Ermessen zu. Auf der Grundlage der für die tatsächliche Beurteilung maßgeblichen Sachlage im Zeitpunkt der Entscheidung des Berufungsgerichts hat der Senat die Ausländerbehörde verpflichtet, das mit der Ausweisung verbundene Einreise- und Aufenthaltsverbot auf sieben Jahre zu befristen.

BVerwG 1 C 19.11 – Urteil vom 10. Juli 2012
Vorinstanzen:
OVG Münster, 18 A 855/07 – Beschluss vom 5. September 2008 –
VG Düsseldorf, 27 K 4870/06 – Urteil vom 16. Januar 2007 –

Quelle: BVerwG, Pressemitteilung Nr. 66/2012